Dept. Medical Biometry, Eberhard-Karls-University, Tübingen,
Germany
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In den letzten Monaten sind in der AIFO zwei Arbeiten von FRÖSNER [1a] und HILGERS [1b] mit Anmerkungen zu meinen Arbeiten im Dt Ärztebl („Wann ist ein HIV-Test indiziert?"[2a] mit Diskussion [2b]) und in der AIFO („Die Abschätzung der Effektivität von Barriere-Methoden zur HIV-Prophylaxe", [3]) erschienen. Die folgende Stellungnahme bezieht sich auf einige offensichtliche Mißverständnisse und Unstimmigkeiten.
Entgegen FRÖSNERs Behauptung, wurde eine Spezifität von 1-1/100.000 vom CDC [4] nicht „festgestellt" [1a], sondern lediglich als "erreichbar" (" achievable ") bezeichnet. Seine Annahmen, unter denen mit einem bis zu 30-mal niedrigeren Anteil von falsch positiven Ergebnissen „zu rechnen ist" [5] müssen - zumindest zur Zeit noch - als "ungesichert" betrachtet werden. In der Studie von BURKE ET AL. [6] wurde nicht die „Spezifität des positiven Befundes […] in 14 der 15 Fälle […] gesichert", sondern nachgewiesen, daß mindestens eines der 15 im Western Blot positiven Ergebnisse falsch war:
„Because all four methods are based on the detection of HIV antibodies, all four methods could yield concurrent false positive test results" [4, vgl. 7a,b].
Die Risikoabschätzungen in [2,3] beziehen sich überdies nicht auf „Reihenuntersuchungen" von Blutspendern oder anderen Gruppen (17-18 jährige, gesunde Personen aus ländlichen Regionen ausgewählter Staaten der USA mit besonders niedriger Prävalenz von HIV) mit besonders geringer Gefahr von Kreuzreaktionen [8,9], sondern auf eher heterogene Patienten eines Arztes [10]. Die Autoren der von FRÖSNER zitierten Studie [6] weisen ausdrücklich auf die auch von mir geäußerten Bedenken [2b] hinsichtlich der Übertragbarkeit von Beobachtungen in Gruppen mit besonders niedriger Prävalenz
„Extrapolation must be made with caution, since the subpopulation we studied may not be representative […] with regard to the prevalenc of false positive results"
und hinsichtlich der Qualitätssicherung in kleinen Labors hin
„HIV testing in the civilian sector may not be done in laboratories that have such large volumes and extensive experience in the performance and interpretation of thests for HIV, especially Western blotting. It is likely that false positive diagnoses in some HIV testing programs may be more frequent than 1 in 135,187." [6]
Bei einem Stichprobenumfang von n =15 [6] ist zudem die Angabe von Konfidenzintervallen [11] unerläßlich [7]. Sogar unter der Annahme, daß es keine der von den Autoren selbst erwähnten „ concurrent false positive test results " [6] gab, kann man zum 1 Prozent Niveau lediglich die Hypothese ablehnen, daß der Vorhersagewert eines positiven Tests kleiner als 65 Prozent ist. Bei Berücksichtigung von Konfidenzintervallen gelant man so zwangsläufig zu vorsichtigen Abaschätzungen der Vorhersagewerte. Konfidenzgrenzen darf man natürlich nicht mit Erwartungswerten verwechseln. So habe ich nicht „berechnet", daß es „bei der Untersuchung von jeweils 10.000 Spendern" regelmäßig 1164 falsch positive Testergebnisse gibt, sondern ich habe darauf hingewiesen, daß man aufgrund der vorliegenden Daten nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen kann, daß die Spezifität von HIV-Tests im Einzelfall (z.B. in Abhängigkeit von Vorerkrankungen und dem untersuchenden Labor) in der Größenordnung von 99 Prozent liegen kann und damit noch unzureichend ist, sofern sich aus der Anamnese keine Hinweise auf spezielle Risiken ergeben (vgl. [12]). Auch HILGERS weist zu recht daraufhin, daß die Berechnung von Konfidenzintervallen (er verwendet den weniger zutreffenden Begriff „Intervallschätzer") sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Populationen und Qualitätsstandards unerläßlich sind.
Selbst Befürworter einer weitergefaßten Indikation zum HIV-Test [24] raten deshalb lediglich dazu, Personen mit einer relevanten Risikoanamnese verstärkt zum Test aufzurufen. In Ohio und North-Carolina haben die Gesundheitsbehörden folgende Richtlinien veröffentlicht:
„ Individuals not represented in the above list [of homo-/bisexual men, hemophiliacs, iv. drug users, prostitutes (especially those who inject drugs), newborn children and sex partners of persons with (or at risk of) HIV infection, health care workers with deep sticks or cuts with HIV contaminated instruments, any person with signs of unexplained immunodeficiency, individuals who received blood transfusions between 1978 and 1985] are at low risk for HIV infection and generally should not be tested ." [13a, Hervorhebung im Original]
„If you have not engaged in behaviours that would place you at risk for AIDS, there is no reason for you to take the test." [13b]
Auch bei Krankenhausinsassen [14, 15], Brautpaaren [16-18] und Schwangeren [19-22] ist eine Testung im allgemeinen nicht sinnvoll (vgl. auch [23]). In jüngster Zeit gibt es Hinweise darauf, daß eine frühzeitige Therapie den Ausbruch der Erkrankung verzögern kann. Sowohl die Nebenwirkungen aus auch der Preis einer AZT-Therapie erfordern jedoch, daß nur solche Patienten dieser Therapie zugeführt werden, die mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich infiziert sind.
Die von FRÖSNER [1a] angeführten Argumente gegen die obige Arbeit basieren auf der Gleichsetzung
Von FRÖSNER wurde übersehen, daß die ursprünglich nur indireckt zitierten Arbeiten bereits in die Fahnenabzüge eingefügt wurden. In [3] muß der Exponent in der ersten Formel auf Seite 4 1/ n ( s ) lauten, die Infektiosität wird mit i ( H ) bezeichnet, der Nenner der Formeln auf Seite 4 (rechts) ist jeweils s ( H ) p ( H ) i ( H ) n ( H und in der Überschrift zur Abbildung muß ( H wie auf Seite 4 definiert sein.
Der Parameter g bezieht sich auf die (nicht beobachtbare) Sicherheit pro Kontakt, die in [1a] zitierten Arbeiten dagegen auf die (beobachtbare und von der Compliance abhängige) Effektivität R ( H ) pro 18-30 Monate. Die Tabellen 2 und 3 erlauben die Umrechnung von g in R ( H ) in Abhängigkeit von der Anzahl von Kontakten n ( H ) und der Compliance c ( H ) , falls alle Parameter bekannt sind. In [25] wurden jedoch z.B. keine Daten zur Compliance erhoben (L. KINGLEY, persönliche Mitteilung, vgl. auch [26]). Da auch eine ideale Methode bei einer Compliance von 90 Prozent nur eine Effektivität von 90 Prozent hat, gibt es hier keinen Widerspruch zu [3]. Die „2.6 Mio. [Dollar]"-Studie wurde nicht abgebrochen, weil „mit einer zu hohen Infektionsrate bei den Kondomanwendern zu rechnen" sei, sondern weil die 1986 formulierten Forschungsziele für die zweite Studienphase im Licht der bereits vorliegenden Daten überarbeitet werden sollten (R. Detels, persönliche Mitteilung). Bereits die Ergebnisse der ersten Studienphase sowie parallel durchgeführter Studien
„suggest that condoms as they were used during the study period by the MACS participants may provide a significant level of protection (although not complete protection) against infection by HIV-1" ([26], Hervorhebung im Original).
Die Verwendung von Kondomen und/oder Spermiziden reduziert auch das Risko einer Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STD).[29] Da die Reduktion der Suszeptibilität durch die Reduktion dieser ‚Kofaktoren' [30, 31, 34] in [3] noch nicht berücksichtigt wurde, könnte die Effektivität von Barriere-Methoden sogar höher sein als angegeben.
Die Daten von Tabelle 3 können bei einer Prävalenz zwischen 0,1 und 10 Prozent unbedenklich interpoliert werden. Die Formeln sind natürlich auch außerhalb dieses Bereichs anwendbar (vgl. [3], Tabelle 2).
Die „beobachtete Risikoreduktion um weniger als den Faktur 10" bei Verwendung von Kondomen bezieht sich - wie oben dargestellt - auf die Effektivität, nicht jedoch auf die Sicherheit. Einen Faktor von 5000 für die Auswahl von Partnern [27] erhält man nur unter den „ungesicherten Annahmen", daß Risikopartner in jedem Fall erkannt werden (100 Prozent Sensitivität) und daß ein Geschlechtsverkehr mit einem solchen Partner dann in jedem Fall vermieden wird (100 Prozent Compliance). Beide Annahmen sind wenig realistisch.[28]
Von dem Fall beidseitiger lebenslanger Monogamie einmal abgesehen, ist eine Infektion auf sexuellem Weg natürlich nie „ausgeschlossen". Es ist auch bekannt, daßman bei vielen Krankheiten die Diagnose am sichersten post mortem stellt. Einzelne Fälle von besonders langer Serokonversionslatenz (SKL) kann man deshalb nie ausschließen, obwohl z.T. nicht die (gesellschaftlich akzeptierte) frühere Bluttransfusion, sondern ein (verheimlichter) späterer homosexueller Kontakt die Ursache sein könnte. Ein Zeitraum von drei bis sechs Monaten scheint ein brauchbarer Kompromiß zwischen Sensitivität und Akzeptanz zu sein. Sollte sich eine kürzlich bei ausgewählten Homosexuellen mit Hoch-Risikoverhalten beobachtete SKL von bis zu drei Jahren [35] auch bei Heterosexuellen als typisch erweisen, dann muß man natürlich einen späteren Zeitpunkt für einen Bilanztest diskutieren.
Modellrechnungen können nie die Erhebung epidemiologischer Daten „ersetzen". Hinreichend genaue epidemiologische Daten zur Ausbreitung von HIV sind jedoch frühestens in mehreren Jahren zu erwarten.[32] Da Prävention um so erfolgreicher ist, je früher sie beginnt, muß man zur Zeit auch Modellrechnungen als Grundlage für Entscheidungen heranziehen.„Necessity has forced recommendations for the use of condoms or spermicides in advance of satisfactory measures of their potential to interrupt the transmission of HIV, and advice is being given on the grounds of common sence substantiated by a small amount of less than conclusive clinical evidence." [33]
(wird fortgesetzt)
Die obige Stellungnahme wurde der AIFO am 25. Sept. 1989 zugesandt, in der Annahme, daß die AIFO einem Autor die in wissenschaftlichen Zeitschriften übliche Gelegenheit zu einer Antwort geben würde. Diese Praxis wurde jedoch im vorliegenden Fall mit der folgenden Begründung ausgesetzt:
Percha, den 24.1.90
Sehr geehrter Herr Dr. Wittkowski,
im Auftrag von Herrn Professor Hehlmann teile ich Ihnen mit, daß wir keine Möglichkeit sehen, Ihren Beitrag in AIFO abzudrucken.
Wir danken Ihnen für die Zusendung des anliegenden Manuskripts und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Verlag R. S. Schulz
i.A.
Gabriele Felix
Redaktion AIFO
[] WITTKOWSKI, K.M. (1988/1989) Wann ist ein HIV-Test indiziert ? Deutsches Ärzteblatt 85 : 2491-2492; 86 :
[] WITTKOWSKI, K.M. (1989) Die Abschätzung der Effektivität von Barriere-Methoden zur HIV-Prophylaxe. (Assessing the effectivity of barrier methods for HIV prevention.) AIDS-Forschung 4
[] WITTKOWSKI, K.M. (1989) Preventing the heterosexual spread of AIDS: What is the best advice if compliance is taken into account? AIDS 3 :143-145